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Kinderarbeit an der Regionalen Schule Binz?!

„An die Arbeit! Schneller! Schneller!“ ruft der Fabrikbesitzer, der kürzlich an unserer Schule in Klasse 9 zu Gast war. Drohend hebt der Mann seinen Stock, als ihm die Arbeit nicht schnell genug geht. „Wer nichts schafft, fliegt raus!“, ruft er immer wieder und geht durch die Reihen der im fahlen Dämmerlicht gebückt stehenden jugendlichen Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Spinnmaschinen am Laufen halten sollen und das rumpelnde Geräusch von Dampfmaschinen durch den Raum dröhnt. Seines Profites wegen.

Kinderarbeit an der Regionalen Schule Binz? Nein, so ist das natürlich nicht. Statt „Ausbeutung“ hieß es „Geschichtsunterricht zum Anfassen und Erleben“. Und wie lässt sich Gesichte besser erleben, als durch Ausprobieren? So erfuhren die Schülerinnen und Schüler anhand eines Rollenspieles, unter welchen Bedingungen Kinder im 19. Jahrhundert während der Industrialisierung arbeiten mussten, um ihre Familien bei der Ernährung zu unterstützen. So wurde das Klassenzimmer kurzfristig zur Textilfabrik umfunktioniert, Collin Ihrke mit langem Mantel, Stock und natürlich einem Zylinder in einen umtriebigen Geschäftsmann verwandelt, während der Rest der Klasse gerissene Garne zusammenknoten musste, um Produktionsausfälle zu vermeiden. „Was? Du bist fertig mit der Arbeit und willst Pause machen? Das glaube ich aber nicht!“, höhnt der Fabrikbesitzer, zieht eine Schere aus der Manteltasche und Schnapp! – schon ist der endlose Faden wieder entzwei und muss von Neuem geflickt werden. Und dies zwar nicht wie einst für bis zu 16 Stunden am Stück, sondern nur für wenige Minuten – dennoch genügte es, um für die Erkenntnis zu sorgen, dass diese eintönige Tätigkeit für die damalige Jugend eine ungeheure körperliche und geistige Belastung gewesen sein musste. „Handlungsorientierter Unterricht steht immer dann im Vordergrund, wenn das Lesen von Texten einfach nicht ausreicht“, erklärt Herr Müller, der Geschichtslehrer dieser Klasse. „Etwas Geschichtliches zu sehen und am eigenen Leib zu erfahren ist für den Wissenserwerb wesentlich gehaltvoller, als nur Quellen zu lesen. Aus Narration, der Erzählung, wird Imagination, die Vorstellung. Und spannender obendrein, denn die Schülerinnen und Schüler haben die Gelegenheit, in zeitgenössische Rollen zu schlüpfen und sich auch schauspielerisch auszuprobieren – und das in einem Fach, das für gewöhnlich vor allem wegen seiner eher „trockenen“ und abstrakten Inhalte bei vielen als langweilig verschrien ist“, so Müller weiter.

Man darf also gespannt sein, wer an unserer Schule in naher Zukunft mal wieder zu Gast sein wird.

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Veröffentlichung

Di, 11. Oktober 2016

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